Über das Buch
Mit dem Themenschwerpunkt in dieser Ausgabe von soll nun selbstverständlich weder die Türkei retrospektiv auf die Anklagebank gesetzt noch der Armeniergenozid zu einem paradigmatischen Geschehen erklärt werden, einem Geschehen, das gleichsam stellvertretend für alle Genozide des 20. Jahrhunderts stehen könne und daher mindestens ebenso viel Beachtung fi nden müsse wie die quantitativ „größeren“ Verbrechen dieser Art in der Sowjetunion unter Stalin, im nationalsozialistischen Deutschland oder in Kambodscha unter Pol Pot. Aber während zumindest die beiden erstgenannten als gut erforscht und in der Geschichtskultur zumindest partiell verankert gelten können und zudem die eskalierende Dynamisierung der Gewalt in der Überschneidungszone der beiden Machtsysteme, den „Bloodlands“, jüngst noch mit schmerzhafter Deutlichkeit vor Augen geführt wurde3, herrscht über den Armeniergenozid vielfach Unwissen oder – fast noch problematischer – eine bloß ungefähre Ahnung. Abhilfe zu schaffen hat der niedersächsische Geschichtslehrerverband in Kooperation mit anderen Einrichtungen in der viel beachteten Fachtagung „Völkermord als Thema im Unterricht“ (Hannover, 23./24.2.20124) unternommen; zwei Referate erscheinen hier in überarbeiteter und dokumentierter Fassung. Mihran Dabag stellt den Vorgang in den Kontext der rapiden und krisenhaften Transformierung des Osmanischen Reiches und seiner Umwandlung in einen „modernen“ – und das bedeutete in der Vorstellung der Zeit: homogenen – Nationalstaat. Martin Stupperich spiegelt in Berichten von Repräsentanten des Deutschen Reiches die Mitwisserschaft und Mitverantwortung von Entscheidungsträgern im Kaiserreich. Vor diesem Hintergrund sei die tendenziell eher beschweigende Haltung der aktuell politisch Verantwortlichen hierzulande wie auch das nahezu vollständige Ignorieren des Themas im Geschichtsunterricht mehr als problematisch. Wie die Erinnerung an den Armeniergenozid im französischen Geschichtsunterricht integriert ist, zeigt Joachim Cornelißen.
Inhaltsübersicht
Ein verdrängter Genozid im 20. Jahrhundert?
Gisbert Gemein/Uwe Walter: Was geht uns ein Völkermord im Osmanischen Reich im Jahre 1915 an? Mihran Dabag: Nationale Vision und Gewaltpolitik: Der Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16
Martin Stupperich: Deutschlands Mitverantwortung am Völkermord an den Armeniern. Das Ende des Schweigens in Öffentlichkeit und Schule
Joachim Cornelißen: Der Armenier-Genozid im Geschichtsunterricht Frankreichs
Szene
Institutionen stellen sich vor
Gegen Vergessen - Für Demokratie Die "schönste Zeche der Welt". UNESCO-Welterbe Zollverein ist Symbol für die Industriekultur im Ruhrgebiet - und dessen Wandel
Berichte aus dem Bundesverband und den Landesverbänden
Zahlreiche Buchbesprechungen aus Fachwissenschaft und Fachidaktik
Leitrezension: Ralph Erbar: Zeugen der Zeit?
Zu den Autoren
Studiendirekor und Fachschaftsberater der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen für die Fächer Deutsch und Geschichte bilingual für den Südosten Frankreichs (Sitz Lyon)
Prof. Dr. Mihran Dabag
Historisches Institut, Institut für Diaspora- und Genocidforschung an der Ruhr-Universität Bochum
Dr. Gisbert Gemein
Oberstudiendirektor i.R., Chefredakteur geschichte für heute, Rembrandtstr. 31, 41466 Neuss
Dr. Martin Stupperich
Oberstudiendirektor i.R., Landesvorsitzender Niedersachsen des VDG, Weidengrund 3, 30657 Hannover
Prof. Dr. Uwe Walter
Universität Bielefeld – Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Postfach 100131, 33501 Bielefeld