Über das Buch
Mit dem Strukturwandel der Öffentlichkeit infolge der Digitalisierung sowie zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung haben Verschwörungstheorien an Sichtbarkeit gewonnen – obgleich es sich anbietet, den weniger verbreiteten Begriff „Verschwörungsmythen“ zu verwenden, denn eine Theorie soll ja gerade eine plausible Erklärung liefern. Dies gilt nicht nur für den Stammtisch, auch in Schule und Universität sind Varianten davon weit verbreitet. Verschwörungsglauben lässt sich einerseits als schrullige Petitesse abtun, bei der Spinner über die erfundene Mondlandung, Chemtrails, Illuminatentum und Weltherrschaft oder den 11. September 2001 als CIA-Inszenierung schwadronieren. Andererseits gehört es zu den Voraussetzungen einer funktionierenden demokratischen Ordnung, dass zwar mitnichten alle Sachverhalte gleich beurteilt werden, aber doch eine gewisse gemeinsame Basis bei der Faktenbeurteilung nicht verlassen wird. Streit, unterschiedliche Interessen, Lagebeurteilungen, Meinungen, normative Vorstellungen und Prioritäten gehören zur Demokratie und sind gar konstitutiv für ihr Gelingen. Aber Verschwörungstheorien sind kein Beitrag zur politischen Meinungsbildung, sondern sie verlassen diese gemeinsame Grundlage. Sie unterstellen Kausalzusammenhänge, die entweder frei erfunden oder grob sinnentstellend gefasst sind bzw. mitunter sogar gezielt instrumentalisiert werden.
Diese Ausgabe von Politikum widmet sich der Frage, welche Konsequenzen daraus für den politischen Raum resultieren. Zunächst fragen wir nach den Funktionen und dem Ausmaß von Verschwörungsglauben in Geschichte und Gegenwart und nehmen dann mit anti-jüdischen Verschwörungsmythen einen besonders abscheulichen Topos in den Blick. Zudem werden Trends in der deutschen Protestkultur identifiziert und überlegt, wie ein faktenorientierter Diskurs auch in einer veränderten Medienlandschaft gelingen könnte. In drei Interviews blicken wir auf Mentalitäten und Dispositionen der Verschwörungstheoretiker und fragen, wie Verschwörungsmythen Politikgestaltung beeinflussen bzw. was eine ernsthafte und durchaus kritische Machtanalyse von Verschwörungstheorien unterscheidet.
Dieses Heft von Politikum erscheint nicht zufällig im Umfeld der Wahlen zum Deutschen Bundestag im September 2017, gewissermaßen als Beitrag zur Delegitimierung von Verschwörungstheorien und zur Bestärkung der Freude an Wahrheitssuche – und als Reflektion über die Schwierigkeiten dabei.
Inhaltsübersicht
Schwerpunkt
Schwerpunkt
Interview |
Schwerpunkt
Interview |
Schwerpunkt
Interview
Forum |
Verschwörungstheorien Michael Butter Rainer Kampling Interview mit Roland Imhoff Laura Luise Hammel Interview mit Ruprecht Polenz Stephan Russ-Mohl Interview mit Dieter Plehwe
Forum Julia C. Leschke, Tobias Wolfram
Rezensionen Bücher zum Thema 70 Das streitbare Buch 74 Bücher für den Politikunterricht 76 Literaturtipps 78
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Zu den Autoren
Prof. Dr. Michael Butter
ist Professor für Amerikanistik an der Universität Tübingen und Leiter eines internationalen und interdisziplinären Forschungsverbunds zur Erforschung von Verschwörungstheorien.
Laura Luise Hammel
ist Doktorandin am Institut für Politikwissenschaft an der Eberhard Karls Universität Tübingen. In ihrem Dissertationsprojekt befasst sie sich mit dem Zusammenspiel zwischen Verschwörungstheorien, politischem Protest und Populismus.
Prof. Dr. Roland Imhoff
ist Professor für Sozial- und Rechtspsychologie am Psychologischen Institut der Gutenberg-Universität Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Verschwörungsmentalität, Vorurteile und Stigmatisierung.
Prof. Dr. Rainer Kampling
ist Professor für Biblische Theologie/Neues Testament an der Freien Universität Berlin und Mitglied des Direktoriums des Zentrums Jüdische Studien Berlin-Brandenburg.
Julia Leschke
ist Masterstudentin in Politischer Forschung an der Universität Oxford und angehende Doktorandin an der London School of Economics and Political Science.
Dr. Dieter Plehwe
ist wiss. Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und war bis Februar 2017 Visiting Scholar am Center for European Studies an der Harvard University. Er ist zudem Vorstand von Lobbycontrol, ein Verein, der über Machtstrukturen und Einflussstrategien in Deutschland und der EU aufklären will und sich für Transparenz, demokratische Kontrolle und klare Schranken der Einflussnahme auf Politik und Öffentlichkeit einsetzt.
Ruprecht Polenz
war bis 2013 Bundestagsabgeordneter, im Jahr 2000 Generalsekretär der CDU und 2005 – 2013 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags. Seit 2015 ist er offizieller Vertreter der Bundesregierung im Dialog um den Völkermord an den Herero und Nama mit Namibia und u. a. Präsident der „Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde“.
Prof. Dr. Stephan Ruß-Mohl
ist Direktor des Istituto Media e Giornalismo (IMeG) an der Università della Svizzera italiana (Lugano) und des European Journalism Observatory (http://en.ejo.ch). Sein Beitrag fasst Kernthesen des Autors zusammen, die in seinem neuen Buch „Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde“ (Herbert von Halem-Verlag) weiter ausgeführt sind (Erscheinungstermin: Herbst 2017).